Nach Abiball Blues

Schmerz. Oh man, was für ein Schmerz. Bloß nicht die Augen öffnen. Schmerz. Mein Kopf platzt bestimmt gleich. So hell.
Ich zog das Kissen unter meinem Kopf hervor und drückte es mir über den Kopf. Diese Bewegung hätte ich nicht machen dürfen. Es wurde schlimmer. Bloß nicht bewegen.
„Hey du Saufnase, wach auf. Unser letzter Tag mit unseren Familien“, hörte ich eine mir wohlbekannte Stimme. Und der dazugehörige Typ zog mir doch tatsächlich das Kissen vom Kopf. Oh nein, Schmerz. Wieder schlimmer.
„Hau ab“, brummte ich mit kratziger Stimme.
„Nix da, hier ist ein Glas Wasser mit Aspirin. Steh‘ auf und geh‘ unter die Dusche. Du stinkst nach Alkohol.“ Bennie konnte so unglaublich hartnäckig sein. Ich hielt ihm meine geöffnete Hand für das Glas hin. Meine Augen waren immer noch geschlossen.
„Du solltest dich vielleicht noch aufsetzen.“ Wie konnte es ihm so gut gehen und ich war halb tot?
„Mh“, grummelte ich weiter. Ganz vorsichtig fing ich an, meinen Oberkörper aufzurichten. „Oh scheiße, tut das weh“, jammerte ich. Meine Augen hielt ich sicherheitshalber weiter geschlossen. Vorsichtig hob ich die Hand mit dem Glas an und führte es zum Mund. Ich leerte es in einem Zug. Mein Mund fühlte sich ausgetrocknet und pelzig an. Bennie nahm mir das leere Glas wieder ab.
„Los, Michael, steh‘ endlich auf. Es sind schon alle unten. Sogar Lukas. Auch wenn er nicht besser als du aussieht.“ Oh, da war jemand genervt. Wenn er schon Michael sagte. Nicht gut.
Vorsichtig öffnete ich die Augen. Oh nein, zu viel Licht. Die Aspirin wirkte noch nicht. In meinem Magen begann es zu rumoren. Ich musste definitiv ganz schnell ins Bad. Meinem Kopf tat das gar nicht gut. Egal. Da bahnte sich gerade alles aus meinem Magen den Weg falsch herum wieder aus meinem Körper.
Ich hatte schon oft einen Kater, aber es war noch nie so schlimm. Ich hatte noch nie so viel getrunken. Nach einigen Minuten bäumte sich mein Magen nicht mehr auf. Mit dem Toilettenpapier wischte ich mir den Mund ab.
„Geht’s dir jetzt besser?“ Hatte der Sack mir etwa beim Kotzen zugeschaut?
„Mh“, grummelte ich nur. Meine Kopfschmerzen waren noch nicht besser.
„Hier, ich habe dir Sachen mitgebracht. Geh jetzt duschen und komm runter. Wir fangen schon mit Essen an.“
Bennie war wirklich genervt. Bei dem Wort Essen zog sich allerdings mein Magen wieder schmerzlich zusammen. Bitte nicht noch einmal. Nein, nein, er beruhigte sich wieder. Ich betätigte die Spülung, stand gaaaanz vorsichtig auf und ging unter die Dusche. An der Wand ließ ich mich wieder herunterrutschen. Meine Augen waren geschlossen.
Vorsichtig tastete ich nach dem Shampoo und kümmerte mich um die Haare, wobei ich die Hände sachte auf dem Kopf bewegte. In derselben Geschwindigkeit wusch ich mich. Die blöde Aspirin wirkte einfach nicht und jetzt noch der ekelhafte Geschmack im Mund. Ich war definitiv krank.
In Gedanken ging ich den gestrigen Abend noch einmal durch, bis zu dem Punkt, wo wir zu Hause angekommen sind. Das ich ausgezogen wurde, hatte ich schon gar nicht mehr mitbekommen. Meine Güte war ich voll. So ganz schien der Alkohol noch nicht aus meinem Körper zu sein, wie meine zitternden Hände mir bewiesen. Wir hatten gestern unseren Abiball und Lukas und ich ließen es krachen.
Irgendwann quälte ich mich aus der Dusche, putzte die Zähne und zog mich an. Das Haare kämmen und föhnen ignorierte ich ziemlich gekonnt, um meinem schmerzenden Kopf nicht noch weiter zu malträtieren. Immerhin fing die Aspirin langsam an zu wirken.
Unten angekommen fand ich alle auf der Terrasse vor. Meine Eltern, Lisa, Lukas, Bennie und seine Eltern. Ich setzte mich auf den freien Platz zwischen Lukas und Bennie. Lukas sah tatsächlich genauso schlimm aus wie ich. Mussten alle so laut brüllen? Ich hätte mir eine Sonnenbrille aufsetzen sollen, die Helligkeit tat meinen Augen definitiv nicht gut.
Ich murmelte einen guten Morgen, ignorierend, dass es bereits Nachmittag war und wir uns zum Kaffee, Kuchen und Abendessen getroffen hatten.
„Kräutertee mein Schatz?“, fragte meine Mutter mitleidig. Ich nickte nur und schaute sie dankbar an. Wenigstens eine hatte Mitleid mit mir.
„Du auch Lukas?“, wandte sie sich noch an meinen besten Freund. Dieser nickte ebenfalls. Sie verschwand in der Küche und kam kurz darauf mit zwei Tassen Kräutertee wieder.
Lukas und ich bedankten uns und ohne groß abzusprechen, standen wir auf und begaben uns in unsere Lieblingsecke im Garten. Hier hatten wir immer alle wichtigen Gespräche geführt hatten. Es war unser kleiner privater Abschied für ein Jahr. Und irgendwie auch von unserem alten Leben. Wer weiß, wann wir wieder hier sitzen oder ob wir überhaupt jemals wieder hier sitzen würden.
Der Kräutertee beruhigte meinen Magen und auch die Kopfschmerzen ließen nach. Wir unterhielten uns über die Zukunft und stellten fest, dass wir beide ein Angst davor hatten, was uns erwarten würde. Aber auch Freude darüber, dass ein neuer Lebensabschnitt begann.
Ich versprach ihm, so oft wie möglich zu schreiben. Bennie und ich hatten sowieso schon überlegt, ob wir für unsere Familie und Freunde einen Blog einrichten sollten, in dem wir unsere Erlebnisse schilderten.
Nach einer Weile gingen wir zurück zu den anderen und gegen zehn Uhr verabschiedeten sich alle. Bennie blieb diese Nacht hier. Wir hatten den Bulli bereits gepackt und er stand bei meinen Eltern vor dem Haus. Seine Eltern wollten am nächsten Morgen noch einmal vorbeikommen, um sich zu verabschieden.
Im Zimmer angekommen machte ich mich direkt Bett fertig. „Eigentlich wollte ich dich gestern entkleiden. Schön Schicht für Schicht. Kannst du bitte den Anzug noch einmal anziehen, damit ich das nachholen kann?“, bemerkte ich fröhlich aus dem Bett. Es ging mir wieder besser.
Bennie sah mich an und brachte nur ein müdes Grinsen zustande. „Du hattest gestern deine Chance. Pech gehabt.“
Ich schaute ihn bittend an. „Bitte, bitte, bitte. Du hast so gut darin ausgesehen“, verlagerte ich mich aufs betteln.
„Wie ich schon sagte, Pech gehabt. Da musst du wohl bis zum nächsten Mal warten. Vielleicht trinkst du dann weniger.“
Okay, er war immer noch genervt. Er legte sich zu mir ins Bett und ich kuschelte mich an ihn.
„Sorry mein Kleiner. Ich gelobe Besserung.“ Zwischen jedem Wort gab ich ihm einen schnellen Kuss. Er legte einen seiner Arme um mich und gab mir nur einen Gute Nacht Kuss.

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Ingo S. Anders

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